Als Zeugungsdatum des Bunten Hauses können wir im Nachhinein den 4. September 1993 angeben, als ein Dutzend junger Leute das seit Jahren leerstehende ehemalige Naafi-Gebäude am Neumarkt besetzten und an einem "Tag der offenen Tür" einluden, sich ein Bild vom Zustand des Hauses und seiner Eignung als Kulturzentrum zu machen. Doch wie bei Zeugungsakten üblich, war es ein vergleichsweise kurzes Vergnügen. Und doch hatte sich schon ein Name für das Kind ergeben: "Ein Buntes Haus in einer toten Stadt" stand auf den aus den Fenstern gehängten Transparenten wie auch: "Kultur für alle".

Die Richtung war klar, wie dann schon ein Interview von INK-VertreterInnen in der Oktoberausgabe der PUBLIZ zeigte: Um eine "andere Art zu leben" ging es und darum, dies in einem selbstverwalteten und basisdemokratischen wie auch unkommerziellem Zentrum zu tun. Dafür wurde dann ein halbes Jahr geworben, mit Infotischen, Unterschriftensammlung und einer Kulturwoche im "Le Bistro". Mit Frühlingsbeginn folgte dann der zweite Streich: Am 18. März 1994 besetzte die INK erneut das Naafi-Gebäude und brachte drei Tage lang Leben in das leerstehende Haus (Kunstausstellung, Kino und Konzert), bis es angesichts des angekündigten Polizeieinsatzes "freiwillig" geräumt wurde. Seitens der Stadt schloss sich zwei Wochen darauf eine Einladung zu einem Workshop an, in dem Jugendliche ihre Wünsche und Vorstellungen für das in Planung befindliche Jugendzentrum CD-Kaserne einbringen sollten.Bei diesem Workshop zeigte sich, dass die Stadt mit der freigewordenen ehedem britischen Kaserne zwar einen vergleichsweise riesigen Komplex hatte, den von der Verwaltung für interessierte Gruppen erarbeiteten Kriterienkatalog aber einzig die INK erfüllte. Aber dann hieß es: warten, warten, warten - hier und da ein bisschen Schwangerschaftsgymnastik in Form der Volxküche, gelegentliche Arztbesuche bei den städtischen Gremien und um das Kind nicht unehelich zur Welt kommen zu lassen, gründete man am 8. Mai 1995 (zur Feier des 40. Jahrestages der Niederlage des Nationalsozialismus) den Verein "Buntes Haus e.V." Während die "professionelle Jugendpflege" der Stadt sich schon mit dem Gedanken angefreundet hatte, der INK Räume zur Verfügung zu stellen, blieb er für andere aber ein Alptraum. In einer Ratssitzung Ende September 1995 schien das Kind zur Abtreibung freigegeben. Verwaltungschef und Ratsmehrheit sahen Linksradikale am Werk. Und Selbstverwaltung könne es schon gleich gar nicht geben, denn: Wer zahlt, habe das Sagen.

Das ging selbst der CZ gegen den Strich. Volker Franke kommentierte: "Kultur in Celle ist, wenn man trotzdem lacht. Das hat dieser Tage die Streitkultur im höchsten politischen Stadtgremium von Celle gelehrt, in dem zwar selbstverwaltung praktiziert, aber leider kleingeschrieben wird. Ein Buntes Haus hat für Oberstadtdirektor und CDU/WG-Mehrheit einen roten Anstrich, und der paßt nun gar nicht ins Celler Stadtbild." Bis heute ist nicht ganz geklärt, wie das Kind diese Abtreibungspille halbwegs unbeschadet überstand. Immerhin scheint der damit einhergehende Schock zu einer pränatalen Charakterbildung geführt haben, die sich noch heute in hochgradigem Misstrauen gegen-über jeglicher Autorität, enormer Widerstandskraft und einem unbändigen Selbstbehauptungswillen äußert. "Greift zu, mehr ist im Moment nicht drin." Mit diesen Worten bot der erste Geschäftsführer der CD-Kasernen Betriebs-GmbH der INK völlig überraschend am 5. Januar 1996 die Halle 12 an. Die INK griff zu und eignete sich handelnd und verhandelnd noch Teile der Halle 11 an. Nach einer rund 28-monatigen Schwangerschaft - eine für soziokultureller Zentren durchaus normale Zeit - ist der Geburtstermin irgendwann in der ersten Januarhälfte vonstatten gegangen.

Als Taufe können wird dann das Eröffnungskonzert am 3. Februar 1996 ansehen; eine der drei Bands hieß "Thinx Never Seen" - ein treffendes Motto für das, was sich nach diesem Startschuss im Bunten Haus tun sollte. Doch kaum war der Mietvertrag im Mai 1996 unterschrieben, gab's schon wieder Stress. Im Rathaus löste es "Besorgnis" aus, dass sich rund um die Aktionen gegen die Sonnenwendfeier der Hetendorfer Tagungswoche auswärtige AntifaschistInnen im Bunten Haus trafen. Zum ersten, aber leider nicht zum letzten Mal mussten wir darauf hinweisen, dass das Zentrum selbstverständlich AntifaschistInnen zur Nutzung offensteht. Ansonsten brachte das erste Jahr jede Menge guter Konzerte und bei zwei Techno-Partys ein überfülltes Haus. Genutzt wurde das Zentrum schnell von verschiedenen Gruppen wie INTI, PUBLIZ, eine Frauen- und eine AntiFa-Gruppe machten regelmäßig das Café auf. Von Beginn an dabei: die Fahrradwerkstatt, die Volxküche und das Plenum. Das zweite Jahr begann mit einer Art Lottogewinn, denn die LAGS gab zum Ausbau von Toilettentrakt und Café einen Zuschuss von 99.900 DM. Bar jeder Erfahrung im Umgang mit solchen Summen gestaltete sich die Bauphase äußerst zäh. Viel zu viel wurde selbst gemacht und dauerte deshalb und dauerte.

Trotzdem: Die Liebe zum Detail ist beispielhaft im Frauenklo noch heute zu bewundern. Die intensivsten Diskussionen aber gab's wegen der Probleme mit jugendlichen Aussiedlern, die das Zentrum für sich nutzen wollten. Im Konkreten bedeutete das fürs Plenum eine permanente Auseinandersetzung mit Machismus, Destruktion und Diebstahl. Es gelang nicht, diese Auseinandersetzung konstruktiv mit den Jugendlichen zu führen, sondern das Plenum musste immer ohne und ausschließlich über sie reden. Am Ende stand als schadensbegrenzende Konsequenz ein Hausverbot. Seinen "Schwarzen Freitag" hat das Bunte Haus schon hinter sich. Am 13. März 1998 belagerte eine große Gruppe Celler und auswärtiger Punks das Zentrum. Ihr Versuch, das Bunte Haus zu stürmen, scheiterte zwar, aber: BesucherInnen wurden verletzt und im Kino 8 ½ wurden Teile des Mobiliars von ihnen zerstört. Eine derart eskalierende Situation gab es nie vorher und seitdem nicht wieder. Das Plenum legte daraufhin folgende Prinzipien fest: "BesucherInnen und NutzerInnen des Bunten Hauses sollen hier eine Atmosphäre vorfinden und mit herstellen, in der sich Menschen treffen können, ohne mit sexistischer Anmache, Machismo und Rambo-Verhalten rechnen zu müssen. Deshalb werden Besucher, die im Zentrum dieses gewalt- und (nach Möglichkeit) herrschaftsfreie Klima stören, von uns rausgeschmissen, wenn sie nicht bereit sind, ihr Verhalten sofort zu ändern. Im Wiederholungsfall werden sie mit Hausverboten belegt."

Im Veranstaltungsbereich gab's in den Jahren 1998 und 1999 beachtliche Entwicklungen. Publikumsrenner blieben die Techno-Partys, aber die Samba-Nächte von Experimet K. und auch einzelne Konzerte (z.B. Man, Tod und Mordschlag, Summerhouse) brachten ein volles Haus. Herausragende Theaterprojekte kamen zustande wie "Die Schneesucher" oder "Titus Andronicus". Politische Veranstaltungen waren zwar selten überlaufen, aber oft von hoher Qualität. Als Referenten hatten wir u.a. zu Gast: Thomas Ebermann, Karl-Heinz Dellwo, Alfred Schobert, Hans Branscheidt, Ludwig Baumann, Heike Kammer, Hubert Brieden und Raul Zelik.

Eine Aufmerksamkeit besonderer Art erlebt das Zentrum seit dem Sommer 2000. Die Nazis der sog. "Kameradschaft 73" fordern im Verbund mit den "Jungen Nationaldemokraten" NPD die "Schließung des Bunten Hauses". Nachdem ein für den 2.9.2000 angekündigter Aufmarsch dann doch abgesagt wurde, führten die Nazis im November einen "Info"-Stand durch. Als "Erfolg" ihrer Kampagne können die Nazis verbuchen, dass sie jetzt jeder kennt. Das Bunte Haus auf der anderen Seite erlebte eine dagegen eine breite Solidarität und Anerkennung der geleisteten Arbeit, denn jedem denkenden Menschen war klar, warum die Nazis etwas gegen das Zentrum haben: Im Bunten Haus wurde und wird mit politischer Bildungsarbeit über die Gefahren des Neofaschismus informiert. Und das Bunte Haus ist in der Gesamtheit seiner emanzipativen und geschichtsbewussten Orientierung das genaue Gegenteil der politischen, gesellschaftlichen und sozialen Ziele der Nazis.

Doch im Jahr 2000 gab es auch erfreuliches. Mit der Betriebsführungs-GmbH der Kaserne wurde ein Mietvertrag geschlossen. Und - last not least: Viele Neue sind in Projekte des Bunten Hauses eingestiegen und übernehmen auch Verantwortung für den ganzen "Laden".

 

1996 bis 2016: 20 Jahre Buntes Haus:

Revista 79:
20 Jahre Buntes Haus – die Vorgeschichte / Ein Buntes Haus für eine tote Stadt ...
http://www.bunteshaus.de/index.php/news/351-april-2016-20-jahre-buntes-haus-vorgeschichte

Revista 80:
20 Jahre Buntes Haus – die Geschichte (Teil 2) / Die frühen Jahre – Punk, Politik und Putzplan
http://www.bunteshaus.de/index.php/news/383-mai-2016-20-jahre-buntes-haus-die-fruehen-jahre

Revista 81:
Buntes Haus (Teil 3) – 2001 – 2011: eine Geschichte von Konflikten mit der Obrigkeit / Eine linksextremistische Drogenhölle?
http://www.bunteshaus.de/index.php/news/412-august-2016-20-jahre-buntes-haus-linksextremistische-drohenhoelle

Revista 82:
Buntes Haus (Teil 4) – 20 Jahre Kulturgeschichte mit Partys, Punk etcetera pp. / Dance and Rock da Haus – Ja watt denn?
http://www.bunteshaus.de/index.php/news/426-november-2016-20-jahre-buntes-haus-teil-4

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